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Geschichten aus Belgien, Kurzgeschichten

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Brüsseler Tram - cc lewishamdreamer/flickr

Brüsseler Tram – cc lewishamdreamer/flickr

In der Tram 81 durch Brüssels Stadtteil Saint-Gilles. Ein Studentenviertel mit unzähligen arabischen Gemüseläden und Jugendstilcafés. Wohl der Nostalgie wegen lässt die Stadt dort ihre fast schon antiken Straßenbahnen aus den 70er Jahren fahren. Sie klappern und ächzen in den Kurven, alles vibriert. Freie Sitzplätze sind kurz nach Feierabend knapp.
Während der unruhigen Fahrt teilt sich plötzlich die Gruppe der Stehenden. Ein wackeliger, alter Mann schiebt einen Fuß vor den anderen – zielstrebig, jedoch im Schneckentempo. Mit dem rechten Arm auf eine Krücke gestützt mit der Linken sucht er Halt an Metallstangen und abgewetzten Sitzlehnen.
Einzelne Studenten springen höflich auf, und bieten ihm ihren Platz an. Doch er lässt einen nach dem anderen links liegen. Schulterzucken, ratlose Blicke der Passagiere. Bis er beide Waggons durchquert hat, vergehen Minuten. Dann kehrt er auf dem Absatz um. Unbeirrt schlurft er zum andern Ende – und wieder zurück.
Währenddessen sucht er Blickkontakt mit den Menschen um ihn herum. Sein Gesichtsausdruck ist mal keck verschmitzt, mal tadelnd. Er spricht niemanden direkt an. Doch immer scheint für Sekunden eine Verbindung zwischen ihm und den anderen zu bestehen. Irgendwas mit „le petit chien“ grummelt er in seinen Schnauzer. Ein kleiner Hund steht ihm im Weg. Als der zur Seite geschoben wird, zieht der Greis weiter. Hin und her. Bis keiner mehr aufsteht und jeder begriffen hat, dass dies seine Abendbeschäftigung ist. So holt er sich auf seine Art die nötige Portion Aufmerksamkeit von der Gesellschaft.

Über Patricia Dudeck

Ich habe Schreibhunger.

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